Mike Daisey ruiniert den Ruf von This American Life
Wie sich in den vergangen Stunden herausgestellt hat sind weite Teile des Bühnenstücks von Mike Daisey frei erfunden.
So gab Daisey an er hätte minderjährige Arbeiter vor einer Firma von Foxconn in Shenzen getroffen. Darüber hinaus gab er an, dass er Arbeiter traf die durch eine Explosion von n-Hexane entstellt waren.
Wahr ist, dass Daisey lediglich Demonstranten in Hong-Kong traf die ihm von einer Explosion in einer 1600km von der Fabrik in Shenzen stattgefundenen Explosion in einer völlig anderen Fabrik berichteten. Daisey traf nicht einen der verletzten Arbeiter.
Das wirklich Schlimme hieran ist meiner Ansicht nach der Vertrauensverlust in This American Life. Die Radiosendung wird heute in der Folge 460 – „Retraction“ („Widerruf“) ab 1 Uhr Nachts unserer Zeit live auf ihrer Webseite (ab Sonntag als MP3) genau so viel Zeit der Aufarbeitung von Daiseys Lügen widmen wie im Januar für „Mr. Daisey and the Apple Factory“ aufgewendet wurde. Die Folge von Januar wurde inzwischen komplett von der TAL-Webseite genommen und durch ein Statement der Redaktion ersetzt. Darüber hinaus veröffentlichte Ira Glass auf dem Blog der Sendung eine weitere Stellungnahme.
Aufgedeckt wurden die Lügen von der Webseite Marketplace.org durch deren Reporter Mike Schmitz, der für die Seite seit Jahren schreibt. Er hatte Arbeiter des n-Hexan-Unfalls aus der besagten, anderen Fabrik getroffen und sich gefragt, wie Daisey diese 1600km entfernt von der Fabrik in Shenzen hatte treffen können. Er interviewte Mike Daiseys Übersetzerin die viele Aussagen Daiseys als falsch entlarvte. Schmitz wird voraussichtlich in der TAL Live-Sendung heute Nacht dabei sein, wie es scheint hat er mit Ira Glass und der Redaktion die Sendung vorbereitet. Ein Ausschnitt der Sendung ist auf der Marketplace.org-Webseite verfügbar.
Daisey selbst ist in dem Ausschnitt zu hören wie er sagt er habe hier gelogen. Er sagt das wirklich. Und dass es ihm leid tut dass er sein Theaterstück in TAL berichtet hat und es damit so aussah als wäre es echter Journalismus. Er verteidigt seine Aussagen zudem auf seinem eigenen Blog, ohne es dabei zu schaffen wie nichts anderes als ein Schwindler auszusehen, den man bei einem Taschenspielertrick erwischt hat.
Was bleibt ist, dass die Arbeitsbedingungen in China schlechter sind als in der 1. Welt. Dies ist ein Fakt. Verbraucher die in Deutschland Waren kaufen auf denen „Made in China“ steht müssen sich im Klaren sein, dass die Menschen dort weniger Geld verdienen, weniger sicher arbeiten, und man deshalb von deren schlechteren Lebensbedingungen profitiert. Niemand der bei einem Bekleidungs-Discounter ein T-Shirt für 3 Euro kauft kann ernsthaft glauben dass dieses nicht zu den schlechtest möglichen Konditionen hergestellt wurde. Ähnliches gilt für Apple die im Gegensatz zu allen anderen Mitbewerbern in der Lage sind, ein Tablet für 499$ auf den Markt zu bringen und daran 200$ Gewinn zu machen im Gegensatz zu allen anderen Herstellern, die bei so einem Preis Verluste einfahren würden.
Der Punkt hierbei ist dass man als verantwortungsbewusster Käufer auf Apple dahingehend einwirken kann, einen Teil der Gewinne in Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der Arbeiter in China umzumünzen. Damit steigen die Lohnnebenkosten in China und eventuell führt dies irgendwann dazu, dass Arbeitsplätze dort so teuer werden dass die Produktion wieder zurück verlagert wird in die USA oder nach Europa. Wahrscheinlich ist dies jedoch nicht.
Die Frage ist wie gut ein Konsument in der 1. Welt, der sich einen Gegenstand „Made in China“ damit leben kann, diesen gekauft zu haben. Es ist richtig und wichtig dass wir Apple und alle anderen Hersteller weiterhin kritisch beurteilen. Es ist nur jenseits jeder Logik wenn wir einzig und allein Apple für die Zustände in China verantwortlich machen. Diese Kritik muss sich immer und jederzeit an ALLE Hersteller richten, von Nike über kik bis ASUS, von VW bis Nokia, von Fleischmann bis Carrera.
Mike Daisey ist ein Lügner. Dies bedeutet jedoch nicht dass es nicht Wahrheiten gibt, denen man sich als Konsument zu stellen hat.
Wenn man Eines aus dieser Geschichte lernen sollte ist es, dass man mehr als eine Quelle braucht um einer Geschichte glauben zu können. Es macht es nicht besser dass eine hervorragende Redaktion wie die von This American Life auch auf Daisey reingefallen ist. Die Geschichte war einfach zu gut um wahr zu sein und das war sie dann auch.
Update 17.03.2012 – 2:16 Uhr: „Retraction“ ist jetzt auf der TAL Webseite verfügbar.
Update 17:03.2012 – 2:36 Uhr: Die Lügen des Mike Daisey
- Daisey besuchte lediglich 3, nicht 10 Fabriken
- Daisey gab sich zuerst als Geschäftsmann aus um die Fabriken zu besuchen, erst dann fand der Besuch am Tor der Fabrik in Shenzen statt
- Daisey sprach lediglich mit etwa 50 Arbeiter am Tor der Fabrik in Shenzen, nicht hunderten
- die Wachleute in Shenzen haben keine Waffen
- Daisey traf lediglich ZWEI nicht „dutzende“ Mitarbeiter von Foxconn traf. Das Treffen dauerte nicht den ganzen Tag sondern nur ein paar Stunden während eines Abendessens
- Daisey traf keinen einzigen Arbeiter von Foxconn der durch n-Hexan verletzt wurde
- Daisey traf KEINE minderjährigen Arbeiter vor den Toren der Fabrik in Shenzen
Seine Übersetzerin findet jedoch, dass Daisey das Recht hat, zu übertreiben, da er kein Journalist ist, und dass es gut ist, dass Daisey die amerikanische Bevölkerung auf die Mißstände hinweist.
Daisey selbst meint, dass er FÜNF Fabriken besuchte. Dass er ein Mädchen traf die Englisch sprach und 13 Jahre alt gewesen sein. Sie hatte Freunde dabei. Daisey schätzte das Alter ihrer Begleiter selbst. Keiner von ihnen sagte selbst dass er oder sie zwölf oder vierzehn oder sonstwie alt seien.
Die Abschrift der Sendung ist jetzt auch verfügbar.
Update 17.03.2012 – 3:01 Uhr: Was bleibt ist die Tatsache, dass die Arbeitsbedingungen bei Foxconn in China im Vergleich zu denen in der 1. Welt schlechter sind. Aber, und das ist hier ein wichtiger Punkt: die Vorwürfe bezüglich Doppelschichten und engen Lebensbedingungen kann ich ohne Probleme auf Deutschland übertragen.
In dieser Woche ging eine Geschichte durch den Blog-„Blätterwald“ über einen deutschen IT-Fachmann mit zwei Monate alter Tochter der mit seiner Frau und besagter Tochter die CeBit besuchen wollte. Da man ihn nicht reinließ (Mindestalter 8 Jahre) bezeichnete er das Wachpersonal indirekt als Nazis.
Durch meine Arbeit und meine Familie kenne ich viele Menschen, die im Sicherheitsbereich arbeiten. Mir sind Fälle bekannt wo sich Sicherheitsleute weil keine Ablösung kam mehr als 20 Stunden auf einer Arbeitsstelle befanden. Ich kenne mehr als einen Wachschutzmitarbeiter, der weniger als 6 Euro oder gar 5,50 Euro pro Stunde verdient, bei 12 Stunden-Schichten sind das 72 Euro am Tag. Gearbeitet wird bis zu 240 Stunden im Monat, zumeist mehr als 22 Tage. Bruttolohn: 1800 Euro. Netto 1200. Tariflohn ist 7 Euro 56 oder so. Die Bezahlungen hier sind genau so illegal und sollten dem Zoll gemeldet werden. Macht nur keiner in Zeiten von Agenda 2010, Job-Agenturen und Zeitarbeitsfirmen.
Lohnsklaven gibt es auch in Deutschland. Ihr Nachteil? Sie stellen keine iOS-Geräte her.
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