Apple Education Event – Jenseits der Hardware
Nach Apples Education Event (im Sinne von: Veranstaltung zum Thema Lehre) war zu erwarten dass Kolumnisten wie Joshua Topolsky sich ziemlich stumpf verhalten würden. Dieser fragt wie man denn ein so teures Gerät in alle Klassenzimmer bringen könnte. Alles schwierig. Erklärt uns das doch mal. Ist ja nicht so als ob Apple nicht seit Jahrzehnten mit Schulen und Unis zusammenarbeiten und sie spezielle Preise für Schüler und Studenten haben. Oh Moment: NATÜRLICH hat Apple solcherlei Programme.
Abgesehen davon dass Topolsky hier ganz einfach Dinge außen vor lässt die schon in der Steve Jobs Biographie erwähnt wurden. Schulen geben jedes Jahr ein Heidengeld für Schulbücher aus – die Frage wäre also „Wie viel billiger/teurer wäre es, iPads an Schüler auszugeben und die Bücher digital zu kaufen im Vergleich zu den bisherigen Büchern auf Papier“, Metriken für diese Rechnung wären „Wie oft kaufen wir neue Bücher“ gegenüber „Wie oft müssten wir iPads austauschen“ und „Wie lange darf man ein eBook benutzen wenn man sich so Käse in Erinnerung ruft wie eBook-Publisher für Sony eReader die gegenüber Buchhandlungen fordern, alle paar Jahre neue Versionen der Bücher zu kaufen“ etc. pp. aber NICHT „Kurze Frage: wie viele iPads wird Apple den Schulen in den Hintern stecken?“. eBooks nutzen nicht ab – wie lange wäre also ein solches Buch einsetzbar bevor der INHALT alt wäre und wie sehr ist das bisher Schulen egal weil sie kein Geld haben und statt dessen mit mehrere Jahrzehnte alten Lehrbüchern vorlieb nehmen?
Artikel wie den von Topolsky „nervig“ zu nennen ist „leicht“ untertrieben.
Fragen nach der Aufrechnung der Kosten haben so viele Unbekannte dass man sie gar nicht beantworten KANN und das ist ein Grund warum Topolsky gar keine Antwort erhalten KONNTE (worauf er sich dann indirekt einen abfreut in seinem Bericht von der Versanstaltung). Gut gemacht Joshua, hier haste ’nen Keks.
Aber das ist nicht einmal das Hauptproblem hier. Das wirkliche Problem ist in keinem Fall die Hardware oder wie die lieben Kids an ihr iPad kommen. Wenn man sich mancheUmfragen zum Thema anguckt, so löst sich zumindest DIESES Problem von ganz alleine.
Das Problem hierbei ist nicht, wie teuer so ein iPad ist, wie haltbar es ist. Das Problem sind höchstwahrscheinlich nicht einmal die Lehrergewerkschaften in den USA, obwohl diese eine unglaubliche Macht haben und der Grund dafür sind dass ein Lehrer dort heutzutage quasi unkündbar ist.
Das Problem, welches Apple versucht hier anzugehen, ist vielmehr die Frage, wie heute ein Schulbuch entsteht. Wie sich die Preise ergeben und vor allen Dingen: die Inhalte. Und wie und welche Bücher gekauft werden und warum. Die Frage ist nicht, auf welchem döseligen Tablet das Buch gelesen wird, sondern wie man überhaupt aus den Schulbüchern eine ePub Version hinbekommt und WER diese erstellt und WARUM er diese so erstellt wie er es tut.
Denn man muss ganz einfach hierzu wissen dass Schulbücher in den USA nicht, wie man meinen sollte, nach wissenschaftlichen Standards erstellt werden und das Kurikulum und der Lehrplan sich aus den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft zusammensetzt und der Frage, mit welchen Lehrmethoden man diese Erkenntnisse am besten den Schülern vermittelt.
Sprich es geht nicht darum, ob die Grille animiert ist.
Die Frage ist: kommt die Grille überhaupt in das Buch. Und wer entscheidet darüber. Denn zu erwarten dass z.B. „Biologie“ überall auf der Welt gleich ist und auch so gelehrt wird, ist ein Irrglaube.
Wissen hat bei der Erstellung eines Lehrbuchs in den USA nämlich selten Vorrang. Was den Hersteller interessiert ist vielmehr, wie dieser die größte Menge Bücher verkauft. Geld spielt die größte Rolle und um den meisten Gewinn zu erwirtschaften richten sich die Verlage nach ihren Kunden und dies sind die State/School Boards of Education, sprich die Schulbehörde von Staaten, Bezirken und Gemeinden bzw. die Versammlung der Kuratoren einer Schule (im Sinne von: Verwalter des Geldes einer Privatschule). Diese Behörden und Kammern sind gewählt und die Wahrscheinlichkeit dass diese gewählten Vertreter sich aus Wissenschaftlern zusammen setzen sind leider in den USA sehr gering. Vor allen Dingen weil Wissenschaftler sich in der Regel mit Forschung beschäftigen und die Politik wenig daran interessiert ist, in solchen Behörden mit dotierten Posten überhaupt Wissenschaftler einzusetzen. Die Positionen in diesen Gremien werden bisweilen direkt gewählt, zum anderen Teil von den derzeitig in den Staaten regierenden Parteien festgelegt. In jedem Fall sind es Prestigeposten und wenn man gewählt werden will muss man hierfür ein Profil haben, eine Agenda. Etwas, was man in diesem Gremium umsetzen möchte. Dies ist das Hauptproblem des Bildungssystems in den USA.
Was solcherlei Prinzipien und Ideen sind, die mache gewählte Vertreter umsetzen, lässt sich an folgenden Beispielen ablesen:
2009-03-28 – Bad Astronomy – Texas – doomed
2011-03-05 – Bad Astronomy – Creationist McLeroy loses in Texas election
2010-03-14 – Bad Astronomy – Texas conservatives screw history
Einige Beispiele gibt es (auf Englisch) im Archiv des The Skeptics Guide of the Universe Podcast.
Ein nettes Beispiel auch bei National Public Radio (NPR): Despite Court Rulings, Creationism Still Taught In Many American Classrooms
Der langen Rede kurzer Sinn: extreme religiöse Gruppierungen schaffen es derzeit immer noch in den USA dadurch, dass sie Vertreter in die State School Boards of Education bringen, wirre, unwissenschaftliche Lehren in den (Bundes-)staatlichen Lehrplan zu bringen. Hierzu gehört Kreationismus, die Lehre vom Menschen der mit Dinosauriern die Erde bevölkerte à la Fred Feuerstein, die Lehre dass Gott die Erde erschaffen hat vor 12000 Jahren, „Pro Life“ als Sexualerziehung, sprich Abstinenz ist die beste und möglichst einzige Verhütungsmethode, dass Homöopathie wirkt, dass Impfungen Autismus auslösen etc. pp.
Die zweifache Amtsperiode von George W. Bush war geprägt von „Abstinence Only“ Sexualerziehung, sicher. Aber nur weil er aus dem Weißen Haus verschwunden ist heißt das nicht dass nicht weiterhin diese Lehre forteführt wird, unterstützt und geprägt von den in den Lehrbehörden sitzenden, erzkonservativen und streng Religiösen, gewählten Vertretern.
Dies alles ist KEIN Scherz. In manchen Staaten wird allen Ernstes Evolutionsbiologie und Kreationismus Seite an Seite als gleichberechtigte „Theorie“ gelehrt – vollständig ignorierend, was der Begriff „Theorie“ bedeutet. Hierbei wird in vielen Fällen die Realität so verdreht, dass einem beim Lesen dieser Berichte mehr als schlecht werden kann. Wenn Wissenschaftler in der Universität „Theorie“ meinen, dann handelt es sich um eine mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als Tatsache anzuerkennenden Idee. Kreationisten fassen als „Theorie“ alles auf, was man ausdenken kann. Und das Ergebnis ist, dass in den USA in vielen Schulen ausgebildete Biologielehrer mit zusammengebissenen Zähnen direkt nach der Erläuterung, was Aminosäuren mit der DNA zu tun haben, und wie diese sich in Jahrmilliarden ausgebildet haben, dass es auch möglich ist, dass vor knapp 12000 Jahren Gott diese Aminosäuren erschaffen hat. Und dass der Mensch nicht vom Affen abstammt.
Mit dem Wissen um solcherlei Dinge werden die Ergebnisse der US-Schüler bei der PISA-Studie leichter erklärbar.
Zunehmend schlimm ist hierbei, dass in den USA aus Zeit- und Geldmangel viele Schulen einfach die gleichen Bücher bestellen wie der Staat Texas. Als flächengrößter Staat sind die Verlage für Schulbücher mehr als interessiert, passende Schulbücher für den dort festgelegten Lehrplan herzustellen. Und falls der Zusammenhang jetzt noch nicht klar sein sollte: George W. Bush war vor seinem Präsidentenamt Gouverneur von Texas, Texas liegt im „Bible Belt“ und egal wie weit nördlich man sich befindet in den USA setzen sich aufgrund der Tatsache dass viel produzierte Bücher logischerweise billiger zu haben sind die wirren, durchgeknallten Ideen in den Schulbüchern von Texas im gesamten Land, sprich allen 50 Staaten, auf diese Art durch.
Kein Wunder also dass die Plätze in den Gremien des Staates bei den ultrareligiösen Gruppen des gesamten Landes mehr als begehrt sind.
Bisher aber interessiert dies in der Berichterstattung in den USA niemanden oder es möchte keiner das heiße Eisen Bildungspolitik anfassen.
Wonach man aber die Uhr stellen kann ist dass wie beim Thema Siri und Abtreibung die heißeste Sau die man sich vorstellen kann durchs Dorf getrieben wird sobald Apple das erste Lehrbuch für den iBookstore ablehnt, welches kreationistische Lehren oder Ähnlich wirres Zeug enthält.
Die große Gelegenheit die sich durch die im Apple Event vorgestellten Werkzeuge also bietet ist nicht wie sich die Aufnahme von Informationen bei den Schülern eventuell verbessert und wie gut sie das Gelernte wiedergeben könne sondern dadurch dass durch ein Loslösen der Verlage vom harten Griff des Bundesstaates Texas endlich RICHTIGES Wissen sich in den USA durchsetzen könnte.
Anstatt dass alle paar Jahre beim Neu-Festlegen des Lehrplanes Wissenschaftler wochen- und monatelange Kämpfe in den Anhörungen vor dem Lehrausschuss des Staates Texas ausfechten müssen und um die Stimmen der nicht-religiösen Vertreter in den Behörden pro-wissenschaft und gegen Märchenstunde der Religionsfanatiker stattfinden, könnte man einfach die Webseite eines Professoren besuchen oder die Bewertungen im iBookstore lesen. Bücher könnten dadurch endlich wieder in den „peer review“, das gegenseitige Prüfen von Aussagen durch Wissenschaftler, zurück gelangen. Wissen wäre wieder frei und durch das Wegfallen von Herstellungskosten könnten auf einmal selbst kleinere Bundesstaaten zu günstigen Preisen Bücher erstehen die KEINE hirnverbrannten Lehren enthalten.
Ich weiß all dies klingt sehr politisch und im Prinzip könnte es mir egal sein da ich in Deutschland in einem Staat lebe der sich anhand wissenschaftlicher Standards wie dem Peer Review seine Lehrbücher erstellen lässt. Das Schlimmste was bei uns passieren kann ist das mehr als 100 Jahre die Länge des Rheins falsch in den Lehrbüchern steht.
Trotzdem ist es für mich unverständlich warum diese Thematik in der Besprechung des Apple Events nicht vorgekommen ist, wo man sich die zu erwartenden, künstlich aufgeregten Titelgeschichten doch jetzt schon an mehreren Händen abzählen kann.
Statt dessen wird sich über die EULA aufgeregt.
Vielleicht haben Tech-Reporter einfach nicht genug Weitblick oder sich mit der Thematik der Lehrbücher nicht genug beschäftigt.
So oder so aber läuft der Countdown bis zum nächsten „Shit storm“ für Apple. Die Thematik wird noch sehr sehr „lustig“ werden.
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